BP ‑ Kunst im Zeitalter der Mobilität

Motorhauben, Kotflügel, Leitplanken, Motoröl, Sturzhelme, Motorradkombi­nationen, Ölfässer und das gleichermaßen bekannte wie befremdlich wirken­ de Buchstabenkürzel BP konfrontieren den Betrachter der Werke dieser Künstlergruppe mit einer Welt, die er bestens kennt, die er jedoch im Kontext einer Kunstausstellung kaum erwartet. Ganz offenkundig handelt es sich bei der Arbeit von BP um eine Kunst, die nicht in der Sphäre weltabgewandter Autonomie schwebt, sondern explizit auf unsere moderne Lebenswelt Bezug nimmt

Dieses Kunstverständnis zeigt sich bereits in der Namensgebung der Grup­pe: Die anonyme Buchstabenkombination BP steht für den Zusammenschluß von Künstlern, die nicht an den Mythos vom genialen Individuum glauben, sondern künstlerische Kreativität als Gruppenprozeß, als Teamarbeit begreifen. Einerseits reihen sich BP damit in den großen Kreis jener Künstlerpaare und gruppen unserer Zeit ein, welche die Teamarbeit der einsamen Tätigkeit des Individuums vorziehen, andererseits übernehmen sie damit auch bewußteine Arbeitsweise, wie sie in den Entwicklungsabteilungen der Industrie längst Üblich geworden ist. Zugleich steht der Name für den zentralen »Gegenstand«, für das zentrale »Thema« ihrer Kunst, denn selbstverständlich spielt diese Buchstabenkombination auf den gleichnamigen, weltweit operierenden Mine­ralölkonzern und damit auf einen wesentlichen Teil unserer modernen Zivilisation an: auf die Welt der Ölförderung, des Verkehrs und der individuellen Mobi­lität.

Mit der künstlerischen Strategie, diesen bedeutenden Teil unseres Alltags­lebens zum Gegenstand ihrer Kunst zu machen, setzen BP auf ihre Weise eine lange Reihe von Bemühungen fort, Kunst und Alltagsleben eng miteinander zu verbinden. Denn seit die Kunst im Laufe des 19. Jahrhunderts autonom geworden ist, d.h. sich vom Auftrag und damit von gesellschaftlich gesetzten Zielvorgaben gelöst hat, ist ihr das Verhältnis zur Gesellschaft, zum Alltagsleben zum Problem geworden. Dem Postulat einer absolut autonomen Kunst, wie sie nach dem Ende des z. Weltkriegs vor allem vom » Informel « und dem » Colour Field Painting « propagiert und praktiziert wurde, stellten in den 60er Jahren junge Künstler die Konzeption entgegen, die zahlreichen industriell produzierten Gegenstände des modernen Alltagslebens direkt in ihre Kunst mit einzubeziehen. So hat beispielsweise die »Pop‑Art« die alltägliche Bilderwelt bewußt ins Medium der Kunst übernommen, während der »Nouveau Réalisme« alltägliche Gebrauchsgegenstände zum Ausgangsmaterial seiner künstlerischen Recher­chen bzw. Gestaltungen gemacht hat.

Ein wesentliches Kennzeichen des »Nouveau Réalisme« um Arman, César und Yves Klein, der in Frankreich vor allem in Paris und Nizza seine Spuren hin­terlassen hat, ist dabei die Verbindung von Alltagsgegenständen wie Kannen, Sprungfedern oder Autoteilen zu abstrakten Bildobjekten oder Skulpturen. An diese spezifisch französische Tradition knüpfen BP an, wenn auch sie Artefak­te unserer Lebenswelt zum Ausgangspunkt und Gegenstand ihrer Werke machen. Ins Unterschied zu den »Nouveaux Réalistes«, die verschiedene All­- tagsgegenstände durch Akkumulation oder Kompression in Kunst verwandelten, beschränken sich BP jedoch ausschließlich auf Gegenstände aus der Welt der Mobilität, die sie durch sparsame und wohlkalkulierte Verfremdungen zu gleichermaßen abstrakten wie aussagestarken Kunstwerken machen. Hierzu bedienen sie sich vorwiegend eines Stoffs, der als künstlerisches Gestal­tungsmittel vollkommen unbrauchbar scheint: Motoröl. Aufgrund seines unscheinbaren Charakters und seiner Eigenschaft, stets flüssig zu bleiben, hatte Mineralöl bisher weder in der Malerei als Farbe, noch in der Skulptur als formbarer Rohstoff Verwendung gefunden. Es ist zweifelsohne das Verdienst von BP, diesen Stoff als Gestaltungsmittel und ‑gegenstand für die Kunst nutzbar gemacht zu haben.

Nachdem sie bereits 1984 doppelt verglaste Fenster mit unterschiedlichen Mineralölen gefüllt und als »Monochromes«, d.h. als monochrome Malerei, deklariert hatten, gelang BP kurze Zeit später der entscheidende Durchbruch. Indem sie die Bildfläche von stetig fließendem Motoröl, das von einer Pumpe umgewälzt wird, »bemalen« ließen, schufen sie eine vollkommen neue Art des monochromen Bildes. In der Ausstellung ist dieser Bildtypus beispielsweise durch zwei »Schwarze Quadrate« vertreten, welche im Kontext der frühesten monochromen Tafelbilder der Kunstgeschichte gese­hen werden müssen: Kasimir Malewitschs »Schwarzes Quadrat« bzw, »Weiß auf Weiß«. Diese Werke aus dem Jahre 1913 bzw. 1917 sind Inkunabeln der autonomen Kunst, denn sie zerstörten ein für allemal ein Grundprinzip aller vor­ ausgegangenen Malerei: das Verhältnis von Figur und Grund. Mit seinen Quadraten machte Malewitsch die Bildbetrachtung als Wahrnehmung distinkter, signifikanter Formen unmöglich, dem Bild wurde sein ‑ bereits von den Kubi­sten angezweifelter ‑ Abbildcharakter endgültig genommen. Vor dem monochromen Bild macht der Betrachter notwendig die Erfahrung der Ununter­schiedenheit bzw. des Nicht‑Signifikanten, die einerseits als absolute Autonomie des Bildes gelesen und andererseits als « Zugang zum Unendlichen und zu einer Realität jenseits der Form verstanden werden kann. Wie immer man die Monochromie auch interpretieren möchte, ihre Entdeckung bedeutete jedenfalls nicht nur den Gewinn der absoluten Autonomie des Bildes und der sinnli­chen Erfahrung des Unendlichen oder Absoluten, sondern zugleich auch den Verlust der Rückbindung an das Alltagsleben bzw, an die Realität.

Genau an diesem Punkt setzen BP nun an: Indem sie mit den Mitteln unse­rer modernen technischen Lebenswelt ‑ aus Schrauben und Blech, einer Ölpumpe und Motoröl ‑ Malewitschs »Schwarzes Quadrat« nachbilden, ver­binden sie die absolute Kunst wieder mit dem Alltagsleben. Dabei stellen ihre monochromen Bilder weder ein bloßes Zitat noch eine ästhetische Kritik oder Persiflage von Malewitschs kunsthistorischen Inkunabeln dar. Vielmehr erschaffen die Bilder von BP das Wahrnehmungserlebnis der Monochromie neu, indem sie die Fläche mit schwarzem Motoröl »ausmalen«, das‑ von einer Ölpumpe umgewälzt‑zwischen zwei horizontalen Schlitzen die Bildflache her­ unterläuft. Aufgrund der besonderen Eigenschaft des Motoröls, stets einer geschlossenen Ölfilm zu bilden, entsteht eine schwarze Fläche, die glatt und ruhig wirkt und dennoch bewegt ist. Vergegenwärtigt man sich in dieser» Zusammenhang, daß die von Malewitsch ausgehende monochrome Malerei stets darum bemüht war, auf der Bildfläche keine sichtbaren Malspuren zu hinterlassen, weil diese den Eindruck vollkommener Anonymität, Autonomie und Universalität gestört hätten, so wird deutlich, daß BP diesen Anspruch auf überraschende Weise neu einzulösen vermögen. Die Monochrome ihrer Bilder ent­spricht den oben genannten Kriterien vollkommen, weil sie im Unterschied zu den Bildern der Klassischen Moderne und der Kunst der 60er Jahre nicht von einem Menschen gemalt wurde, sondern von einem technischen Apparat ‑ dem Bildobjekt‑ in jedem Moment neu produziert wird.

Mit der Verwendung von Motoröl als Farbe hatten BP also eine neue dimension monochromer Malerei erfunden und zugleich ein Material entdeckt, dessen Ausdruckskraft und inhaltliche Implikationen in der Bildenden Kunst bislang unbeachtet geblieben waren. BP wandten sich deshalb schon bald anderen Bereichen der Bildenden Kunst zu. 1987 überzogen sie erstmals eine Öltonne mit fließend schwarzem OI. Durch diesen Kunstgriff wird‑vergleichbar mit Christos Verhüllungen ‑ das ursprüngliche Objekt unsichtbar, wahrend dessen rein skulpturale Gestalt ‑ oder anders ausgedrückt: dessen Form und Volumen ‑deutlich wahrnehmbar wird. Mit Hilfe des schwarzen Ölfilms der sich wie ein blickdichter Damenstrumpf an die Formen des verhüllten Objekts anschmiegt, wird die Schönheit einer Öltonne sichtbar, die unter anderem aus dem harmonischen Verhältnis von Grundform und welligen Binnenformen resultiert. Ähnlich wie in Christos jüngsten Projekten spielt dabei das Licht eine bedeutende Rolle, denn es wird von dem stetig fließenden Ölfilm sanft schillernd reflektiert. Die Öltonne, die an sich nichts anderes als eine banale Industrieverpackung ist, verwandelt sich so in eine abstrakte Skulptur von enormem ästhetischen Reiz.

Mit Motoröl und den Artefakten aus der automobilen Welt knüpften BP also an die vorhandenen Traditionen und Topoi der modernen und zeitgenössischen Kunst an und interpretierten sie neu, aber zugleich konnten sie damit auch unserer automobilen Lebenswelt einen neuen, sinnbildhaften Ausdruck verleihen. Seht man sowohl von den Verteufelungen des Autos, wie sie mehr oder minder gelungen von der »Aktionskunst« in den 60er und 70er Jahren betrieben wurde, als auch von dessen Mythisierungen durch »Pop‑Art« und die zeitgenössischen Varianten der »Aktionskunst« einmal ab, so sind es hauptsächlich die Werke von BP, die für diesen Bereich unseres modernen Lebens gelungene bildnerische Formulierungen gefunden haben.

Ire diesem Zusammenhang ist beispielsweise die » Oil line« zu nennen, die 1986 entstanden ist. Die Skulptur besteht aus vier Leitplankensegmenten, die eine schräge Ebene bilden. In der Vertiefung des nach oben geöffneten Prallschutzes fließt unaufhörlich ein Ölstrom, der sowohl arg eine Pipeline (und damit an die Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe) oder an den steten Strom des Individualverkehrs denken läßt. Dabei verwandelt der geschlossene Ölkreislauf dieses lapidare Objekt unversehens in ein Symbol für jene unaufhörliche Bewegung, in der unsere Epoche gefangen zu sein scheint. Das Öl wird als der Stoff ‑ oder anders ausgedrückt: als der Treibstoff ‑ wahrnehmbar, welcher unser Zeitalter in Gang hält.

Auch das Auflagenobjekt »Start/Finish«, das aus zwei identischen Sturzhelmen besteht, die auf ihren Visieren die Aufschrift »Start« bzw. »Ziel« tragen, kann im Sinne dieses unaufhörlichen Kreislaufs interpretiert werden: Anfang und Ende einer Fahrt unterscheiden sich nur noch durch ihre Benennung, das Fahren eröffnet keine neuen Einsichten (die Visiere sind blind), sondern repetiert nur eine Bewegung, die letztlich im Kreis herumführt.

In den jüngeren Arbeiten von BP gesellt sich zu diesem absurden Aspekt unserer automobilen Lebenswelt die Dimension des Gespenstischen und Unheimlichen. Der schwarze Ölfilm, der den gegenstandslosen Bildern und Objekten ursprünglich einen ausgeprägt ästhetischen Charakter verliehen hatte, wird durchsichtig. Blinkende Signalleuchten, rotierende Dummieköpfe, Sturzhelme oder Motorradmonturen erscheinen nun hinter den schwarzen Flächen der Bilder und kubischen Volumina der Skulpturen. Es sind Warnzeichen, schützende Hüllen oder Dummies, d.h. Stellvertreter des automobilen Menschen, die nun sichtbar werden. Von der Faszination der Geschwindigkeit, von der Freude am Fahren, die normalerweise mit Sturzhelmen oder Motorradkombinationen assoziiert wird, ist hier nichts zu spüren. Vielmehr fällt plötzlich die Abwesenheit dessen auf, dem all diese Gegenstände bei seiner immer schnelleren und sicheren Fortbewegung dienen sollen: Der Mensch kommt in dieser Welt automobiler Artefakte nicht vor.

Zweifellos spiegelt sich darin die im realen Verkehrsgeschehen vorhandene Tendenz zur Minimierung menschlicher Einflüsse. Denn schon seit Jahren bemüht sich die Automobilindustrie, die Rolle des »menschlichen Faktors« durch immer perfektere und zunehmend stärker automatisiert Fahrzeugtechnik zu reduzieren. Angesichts des drohenden Verkehrsinfarkts werden neuerdings sogar Modelle selbstfahrender Autos diskutiert, die den Fahrer überflüssig machen sollen. Damit erscheint das wahrhaft gespenstische Szenario eines wie von Geisterhand bewegten Verkehrs als letzte Konsequenz des vollentwickelten Individualverkehrs: Das Automobil, das dem Menschen ursprünglich größere individuelle Freiheit durch freie Fortbewegung versprochen und ermöglicht hatte, zerstört durch sein massenhaftes Auftreten eben diese Freiheit wieder. Vergegenwärtigt man sich in diesem Zusammenhang die längst bekannten Folgen des lndividualverkehrs für die Lebens‑und Umwelt des Menschen, so zeigt sich gerade in der Entwicklung des Verkehrs die paradoxe Dialektik der Moderne: Der glanzvolle technische Fortschritt hat eine dunkle Kehrseite, deren ganzes Ausmaß wir erst allmählich zu spüren beikommen.

Die Abwesenheit des Menschen in den jüngsten Bildern und Objekten vom BP verweist zugleich auf ein weiteres Pardoxon unserer Zeit: je näher uns das Fremde und Entfernte durch die stetige Verbesserung der Verkehrsmittel und ‑infrastruktur rückt, desto geringer wird die Er‑fahrung, die wir durch Fortbewegung machen können. Denn Erfahrung reduziert sich einerseits auf den Fahrvorgang, der aus der Wiederholung immergleicher Bewegungen (Schalten, Lenken, Gasgeben und Bremsen) besteht, und andererseits auf die Wahrnehmung einer Landschaft, die wie im Film vorüberzieht. Ihr Auf Und Ab, ihr Klima und ihre Gerüche sind kaum mehr wahrnehmbar. Darüber hinaus werden dank globaler Mobilität und internationalem Warenaustausch auch die Unterschiede zwischen den Orten, zu denen man fahren kann, immer geringer. Nahezu überall erwarten den Reisenden dieselben Tankstellen, Hotels und Vergnügungsstätten. Ausgangs‑ und Endpunkt einer Reise werden sich tendenziell so ähnlich wie Start‑ und Zielpunkt einer Rennstrecke.

Vielleicht findet diese ‑ hier bewußt überzeichnete ‑ Art des Erfahrungsverlusts sein treffendstes Bild im »Simulator«. Wie ein Farhsimulator aufgebaut, der in einem Spielsalon stehen könnte, ist hier vor einem Fahrersitz ohne Bedienungselemente ein großer Bildschirm montiert, der scharz bleibt. Wäre der schwarze Bildschirm nicht zugleich ein monochromes Bild, das daran erinnert, daß die kontemplative Bildbetrachtung neue Erfahrungsebenen zu eröffnen vermag, dann müßte man den »Simulator« als das Bild absoluten Erfahrungsverlusts interpretieren.

René Hirner,

in catalogue « BP Kunst im Zeitalter der Mobilität », Kunstmuseum Heidenheim, November 1995